Typisch 60er Jahre. Bis heute haben die 60er einen einzigartigen Stellenwert in der westlichen Kulturgeschichte. Nachdem im vorangegangenen Jahrzehnt die Weichen für eine Wohlstandsgesellschaft gestellt worden waren, hinterfragte nun insbesondere die jüngere Generation althergebrachte Konventionen und brach mit verstaubten Denkmustern. Mit gesellschaftlichen Veränderungen und alternativen Weltanschauungen gingen zahlreiche Innovationen in Mode und Kultur einher.
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Schrankwand und Perserteppich: Das deutsche 60er Jahre-Wohnzimmer
Anders als im Mode- und Kulturbereich gaben Eltern- und Großelterngeneration den vorherrschenden 60er-Wohnstil vor. So überrascht es nicht, dass dieser zunächst wenig revolutionär anmutete. Typisches 50er-Mobiliar wie Nierentische, Cocktailsessel und Tütenlampen verschwand peu à peu aus den Wohnungen. Die Zeiten des Aufbruchs nach modernem, amerikanischem Vorbild waren vorüber. Man hatte sich an einen gewissen Wohlstand gewöhnt, der sich an auch in den privaten Räumlichkeiten widerspiegeln sollte. Bürgerliche Familien setzten vermehrt auf hochwertige, massive Einrichtung. Diese hatte natürlich so gar nichts gemein mit dem modernen, Bauhaus-orientierten Design, wie es den 60ern oft zugerechnet wird. Ganz im Gegenteil: Die Geburtsstunde der Schrankwand hatte geschlagen. Sie ist bis heute Standardausrüstung vieler deutscher Wohnzimmer, überdauert oftmals mehrere Generationen und gilt als wohnliches Indiz für Aufgeräumtheit und Solidität.
Die Schrankwand des 60er-Wohnzimmers beherbergte Fernseher, Plattenspieler sowie eine verspiegelte, aufklappbare Hausbar. Dazu gesellten sich Sitzgruppe und Fernsehsessel. Ein Perserteppich – damals noch eine echte Wertanlage – rundete das Bild ab. In der „guten Stube“ zeigte man, was man hatte. Und das sollte möglichst unversehrt bleiben. Tatsächlich war das Wohnzimmer Vorzeigeobjekt und weniger zum Wohnen denn zum Präsentieren gedacht.
Erst in den späten 60ern zeichnete sich in ein zaghafter Stil-Wandel ab, der bereits auf das Folgejahrzehnt hindeutete. Typische Möbelstücke waren Sessel mit Metall- oder Holzgestell, deren Polster mit breitem, braunem Cord bezogen waren. Dazu passten flauschige Flokati-Teppiche und Kugelleuchten aus Glas oder Chrom.
Spülbox und Abzugshaube: Die neuen Haushaltshilfen
Der Wohlstand der 60er manifestierte sich in neuen Haushaltshilfen wie der Geschirrspülmaschine, die ab Mitte des Jahrzehnts zunehmend beliebt wurde – auch, wenn die „Spülbox“ für viele Familien freilich weiterhin nicht erschwinglich und bei weitem nicht in jeder deutschen Küche zu finden war. Als weitere Innovation gilt die Dunstabzugshaube, dank derer Küchen zu wahren Gemeinschaftsräumen mit separatem Essplatz und gepolsterten Stühlen avancierten. Von der Küchenzeile aus wurde das Essen auf einem Servierwagen in den Essbereich transportiert.
Was in Hinblick auf Küchendesign in den 50ern begonnen hatte, setzte sich in den 60ern vollends durch: Ein reinliches, einheitliches Erscheinungsbild. Küchenfronten und -oberflächen waren aus glattem Holzimitat, aus weißem oder rotem Kunststoff.
Die aus heutiger Sicht recht moderne Ausstattung der 60er Jahre-Wohnung sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die meisten Deutschen – trotz flächendeckenden Wohlstands – weiterhin in sehr kleinen Wohnungen lebten. Jede fünfte Familie besaß nicht einmal ein eigenes Badezimmer.
Hosen und Minirock: Die modische Emanzipation der Frau
Weitaus neuartiger als die Wohnungseinrichtung waren Schönheitsideale und Mode der 60er Jahre. Im Gegensatz zum weiblichen, wohlgenährten Frauenideal der 50er waren nun knabenhafte, zierliche Typen gefragt. Als Vorbild galt das englische Model Twiggy, die mit ihrer schmalen Figur, Bubikopf und Minirock das damalige Frauenbild maßgeblich prägte. Auch Jackie Kennedy, die amerikanische Präsidentengattin, galt mit ihrem modernen Look als Stilikone.
Modisches „It-Piece“ der war der Minirock. Diese revolutionäre Erfindung der englischen Designerin Mary Quant eroberte in den frühen 60ern von London aus die gesamte westliche Modewelt. Während der Kult-Unterrock der 50er, der Petticoat, weibliche Kurven betonte und zudem unter Röcken getragen wurde, die ausschließlich unterhalb des Knies endeten, lag der Minirock-Saum deutlich über selbigem. Zierliche Frauen konnten den kurzen Rock besser tragen als fülligere Frauen, sodass der Mini auch dem neuen Schönheitsideal Rechnung trug. Fast zeitgleich wurde die Feinstrumpfhose entwickelt – eine perfekte Ergänzung zum kurzen Stück Stoff.
Frauenmode war insgesamt deutlich frecher und selbstbewusster als jemals zuvor. Mit großer Selbstverständlichkeit trug frau (Schlag-)Hosen und Anzüge, denn die 60er Jahre waren nicht zuletzt in modischer Hinsicht ein emanzipatorisches Jahrzehnt. Insbesondere junge Frauen grenzten sich mit ihrem Look vom weitgehend braven Rollenklischee der 50er ab. So waren auch ein praktische Bobs oder Kurzhaarfrisuren sehr beliebt. Alternativ trugen viele Frauen den sogenannten „Bienenkorb“ (auch: „Bouffant“ oder „Beehive“), die typische voluminöse 60er Toupier-Frisur. Dazu passte eine große, mondäne Sonnenbrille à la Jackie Kennedy und ein auffälliger Lidstrich. Dieser extravagante Look lebt in regelmäßigen Abständen bis heute wieder auf – bekannteste Vertreterin im 21. Jahrhundert war die Sängerin Amy Winehouse.
Langes Haar zum Anzug: Männerlook der 60er
Bürgerliche Männer pflegten in den 60ern einen recht gediegenen Kleidungsstil. Der Anzug – am besten ein Dreiteiler – blieb weiterhin beliebtes Kleidungsstück. Er war schmal und elegant geschnitten, Stoffe waren entweder im Fischgrätmuster gehalten oder mit großflächigen Karos verziert.
Auch auffälligere Neuerungen gab es im Bereich Herrenmode: Ganz im Sinne der Auflösung geschlechtlicher Rollenklischees trugen junge Männer ab Mitte der 60er Jahre gern lange Haare, was in den vorangegangenen Jahrzehnten völlig undenkbar gewesen wäre. Langes Männerhaar stand dabei keinesfalls im Widerspruch zum schmalen Anzug. Darüber hinaus setzte sich die Jeans vollends als massentaugliches Kleidungsstück durch.
Hippiemode
Abseits von Minirock und schmalem Herrenanzug entstand in den 60ern eine neue stilprägende Strömung, die noch heute regelmäßig ihren Weg in den modischen Mainstream findet: Ab Mitte des Jahrzehnts wurde Hippiemode massentauglich. Batikkleider, Tuniken und weite Schlaghosen zierten von nun an Zeitschriftencover. Man trug große, runde Sonnebrillen mit bunt getönten Gläsern und auffälligen Schmuck. Stilikonen wie Brigitte Bardot machten den Look salonfähig.
Protest, Sex & Musik: 60er-Jugendkultur
Hippies hörten Folk à la Joan Baez und Bob Dylan, hausten in Kommunen, zelebrierten sexuelle Freiheit und predigten Pazifismus. Ihr Motto: Love & Peace. Ausgehend von Amerika verbreitete sich der Hippiekult in ganz Europa und zog bis in die 70er Jugendliche und junge Erwachsene an.
Aber auch ohne Hippietum hatte die junge Generation genug von der Prüderie der 50er Jahre. Die Einführung der Antibabypille läutete Anfang der 60er die sogenannte „Sexuelle Revolution“ ein, aufklärende, sexual-didaktische Filme machten Schule. Gerade Studenten wandten sich ab vom Diktat der kleinbürgerlichen Familie, vom Mann als dem alleinigen Ernährer und der Frau als braver Hausfrau am Herd. Dank Pille und Aufklärung konnte man sich unbesorgt sexuell ausleben und alternativen Lebensentwürfen folgen.
Parallel zur sexuellen Befreiung wurden jugendliche Stimmen laut, die sich gegen Krieg und die Unterdrückung von Minderheiten positionierten. Hervorzuheben sind hier die studentischen Protestbewegungen gegen den von Amerika geführten Vietnamkrieg, die in nahezu allen westlichen Industrienationen stattfanden. 1968 erreichten sie ihren Höhepunkt. Bis heute ist die 68er-Generation für ihre gesellschaftlichen und politischen Überzeugungen berüchtigt. Den Protest-Soundtrack lieferten unter anderem die Beatles, die mit ihrer Beatmusik von England aus den weltweiten Durchbruch feierten. Wer es härter und lauter mochte, der hörte Rockbands wie die Rolling Stones oder The Who. Bands der 60er Jahre legten den Grundstein für weitere Innovationen in Pop und Rock der Folgejahrzehnte. Dabei ging es nie allein um Musik, sondern in erster Linie um eine Geisteshaltung, die sich gegen das Establishment richtete.